Silke Körber ist Künstlerin und Filmemacherin aus Kassel. Sie arbeitet mit Standbild und Bewegtbild in den Bereichen Film, Expanded Cinema, critical research und Fotografie. Der Prozess ihrer Arbeit ist non-direktiv. Sie ist Mitbegründerin des feldt kollektivs.



Forschungsprojekt: Die selbe „wahre“ Geschichte klingt doch immer wieder anders



Silke Körber: Die selbe „wahre“ Geschichte klingt doch immer wieder anders. Ausstellungsansicht von GBB_edits #1. Foto: Graduiertenschule für Bewegtbild
An dem Tag, an dem ich beginne, diesen Text zu schreiben, steht es auf Titelseiten der meisten deutschen Zeitungen: Die deutschen Behörden haben bei einem der größten Polizeieinsätze der Bundesrepublik 25 Verdächtige aus der Reichsbürger:innenszene festgenommen. 22 von ihnen wird vorgeworfen, Mitglieder einer rechten Terrororganisation zu sein, die das politische System in Deutschland umstürzen und zurück ins 19. Jahrhundert verfrachten wollten. So richtig überrascht es niemanden, denn rechtspopulistisch ausgerichtete Parteien verstärken sich in Europa und halten Einzug in die Parlamente.

Politische Geschehnisse, insbesondere die Einflussnahme rechter Organisationen und Parteien, sind ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit der Künstlerin und Filmemacherin Silke Körber. Im Mittelpunkt ihres Projektes Channel Without Borders, das in Zusammenarbeit mit dem Künstler Tobi Sauer ins Leben gerufen wurde, steht die Bildung und Formierung einer regierungsunabhängigen transeuropäischen Informationsquelle, die sich durch kollektives Wissen formt. 


Das Interesse daran, wie (unterschiedlich) Informationen weitergegeben und verbreitet werden, führte Körber als Praktikantin zum Rundfunksender Deutschlandradio (DLR), der zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit Die selbe „wahre“ Geschichte klingt doch immer wieder anders (2022) wurde. Der Rundfunk als öffentlicher Informations- und Kommunikationsdienst brachte die Künstlerin dazu, sich mit jenem Sender zu beschäftigen, welcher noch bis in die 1990er-Jahre hinein als einer der wenigen in verschiedenen europäischen Sprachen
sendete. Das Deutschlandradio (DLR) wurde 1994 im Zuge der Wiedervereinigung als nationaler Hörfunk zwischen Bund und Ländern gegründet und setzte
sich aus den drei Sendern Deutschlandfunk in Köln, RIAS¹ aus West-Berlin und dem DDR-Sender Deutschlandsender-Kultur zusammen. Mit der Fusionierung und Etablierung des Deutschlandradios als nationales Kultur- und Informationsprogramm entstanden neue Fragestellungen, die Silke Körber veranlassten, sich mit dem Archiv des Radiosenders auseinanderzusetzen, da dieser als „kulturelles Gedächtnis“ der Nation unwiederbringliche Informationen für die Zukunft aufbewahrt. Doch welche Informationen genau werden archiviert
und nach welchen Richtlinien? Entscheidungen über die Archivierung eines Beitrages führen gleichzeitig auch zu der Frage, wessen Perspektiven in einem Archiv aufbewahrt werden, da zu dieser Aufgabe auch die Bewertung und Aussortierung von Informationen gehört. Eben dieser Frage, nämlich der Bedeutung von Wissensvermittlung und -achivierung, versucht sich Silke Körber anhand des Deutschlandradios in einer fotografischen Dokumentation zu nähern.

Die als Installation präsentierte Arbeit Die selbe „wahre“ Geschichte klingt doch immer wieder anders zeigt dabei Fotos der Räumlichkeiten ebenso wie Zusammenschnitte von Tonmaterial aus dem Archiv, das Informationen über die Geschichte und den Gründungsprozess des DLRs enthält. Dazu ergänzen gefundene Texte, Tonaufzeichnungen der Räume und eigene Zeichnungen die Annäherung an das Trio: Rundfunk, Rundfunkarchiv und kulturelles Gedächtnis. Mit Material von Tonaufnahmen und Dokumenten aus den 90er-Jahren nähert sich die Künstlerin der Funktion und Geschichte der Fusionierung aller drei Radiosender. Das Archiv, das bereits übertragene Beiträge systematisch codiert und somit als Stätte und Lager des Realen erscheint, wurde von der Künstlerin bereits während ihres Praktikums fotografisch festgehalten, die sie nun als großformatige Fotografien hinter einem Regal bewegbar (und nur teilweise sichtbar) macht. Dabei werden Details des Archivsystems sichtbar, ebenso wie Möbel des letzten Jahrtausends. Der Funkturm als Übertragungs- und Sendungsort der Beiträge, in welchem die eigentliche Repräsentation von Zeitgeschehen stattfindet, sollte ursprünglich als Gegenentwurf zum Archiv des DLR vorgestellt werden. Allerdings wurde der Künstlerin der Zutritt kurzfristig verwehrt.

Körber versteht das DLR als Plattform, in der deutsch-deutsche Realitäten und Identitäten während und nach der Wiedervereinigung verhandelt und repräsentiert werden. Unterdessen führen die Prinzipien Selektierungen, Kategorisierungen und Speicherungen in Archiven als antizipative Strategien die Künstlerin zur Beschäftigung mit hegemonialer Geschichtsschreibung. Die Wahl jener Beiträge, die in Archiven aufbewahrt, konserviert und anschließend für neue Beiträge verwertet werden, muss demnach verstärkt einer kritischen Reflexion unterstehen.

Wie können demokratische Archive geschaffen werden, die verschiedene Perspektiven repräsentieren, neue widerständige Praxen in der Wissensproduktion aufzeichnen und inkludierendes Wissen transferieren? Silke Körber nähert sich mit ihrer Arbeit Die selbe „wahre“ Geschichte klingt doch immer wieder andersdem Gegenstand der Bedeutung von individuellem und kollektivem Wissen für die mediale Erinnerung von kollektiver Identität an.

Text: Defne Kizilöz, für die Publikation zur gleichnamigen Ausstellung GBB_edits #1





Silke Körber: Die selbe „wahre“ Geschichte klingt doch immer wieder anders. Ausstellungsansichten von GBB_edits #1. Fotos: Graduiertenschule für Bewegtbild